Zoos: Tierliebe oder Tiergefängnis?

Text: Linus Hanne, Focus on Animal Rights

Ich habe nicht gedacht, dass ich das jemals nochmal machen werde. Aber es ist passiert – ich habe mir eine Eintrittskarte gekauft, um mir den Zoo am Meer in Bremerhaven von innen anzusehen. Ich will mir selbst ein Bild machen. Jetzt. Als Veganer und Tierrechtler, dessen Werte und Wahrnehmung sich in den letzten Jahren extrem verändert haben, sodass ich Zoobesuche aus meinem Leben gestrichen habe. Und nun stehe ich hier. Vor einer Panzerglasscheibe. Um mich herum grau-brauner Stein. So täuscht es zumindest die Wandgestaltung vor. Auf der anderen Seite sehe ich sie. Schimpansen. Menschenaffen, die in einem Themenzoo leben, der sich auf wasserlebende und nordische Tiere spezialisiert hat. Sie sitzen und liegen auf Betonboden. Umringt von graubraunen steinartigen Wänden. Die einzige Möglichkeit nach draußen zu gelangen ist ein hoher Betonmast mit einer kleinen, umgitterten Holzplattform, auf die sie sich legen können. Bei den nordisch-zugigen Temperaturen in Bremerhaven allerdings nicht sonderlich attraktiv für Tiere, die man sonst nur in tropisch-warmen Klimazonen antrifft.

Neben dem ca. 800 m² großen Gehege der Schimpansen (Vergleich: Lebensraum freilebender Schimpansen 50 – 70 km²) befinden sich die Räumlichkeiten der sogenannten Zooschule. In den 1970er Jahren einigten sich Zoobetriebe auf die „4 Säulen des modernen Zoos“. Nach starker Kritik schafften Zoos so eine Rechtfertigung für ihre fortbestehende Daseinsberechtigung in unserer Gesellschaft. Die 4 Säulen lauten: 1. Bildung, 2. Artenschutz, 3. Forschung und 4. Erholung. Dementsprechend sehen sich Zoos auch als „größte außerschulische Bildungseinrichtung“. Sie kooperieren mit Schulen, wollen vor allem Kinder im Alter von 4 – 14 Jahren ansprechen, die mehr als 50 % der Besucher*innen ausmachen. Der weitverbreitete Glaubenssatz, den Zoos immer wieder betonen, ist, dass Kindern in Zoos und Zoologischen Einrichtungen die Natur und Tierwelt näher gebracht wird. Gerade Kinder sollen so Kontakt zu Tieren haben können, die sie ansonsten nie zu Gesicht bekämen, um so sensibel für die Probleme und Bedürfnisse der freilebenden Artgenossen zu werden. Erinnere ich mich nun an meine Kindheit zurück, in der Zoobesuche ebenfalls ein großer Bestandteil waren, so erinnere ich mich tatsächlich nicht an diese Verknüpfung. Heute erkenne ich, dass Zoos eine verzerrte und eher unrealistische Darstellung der Natur und Tiere vermitteln. Kinder, aber auch Erwachsene, stehen vor Tiergehegen, die heutzutage in den meisten Zoos aufwendig gestaltet sind, sodass die Illusion entsteht, es gäbe keine Zäune und die Tiere bewegten sich in freier Wildbahn. Dies entspricht allerdings nur einer Karikatur der Natur. Auf viel zu engem Raum leben viel zu viele Tiere, deren Verhalten nicht mit dem Text auf dem kleinen Informationsschild übereinstimmt. Anstatt aber diesen Widerspruch zu erkennen, werden gerade Kinder darauf trainiert, dass es normal und gesellschaftlich anerkannt ist, Tiere für das eigene Vergnügen einzusperren und zu isolieren. Die Zooindustrie setzt sich das Ziel, dass Kinder Spaß im Zoo haben, damit sie treue Kund*innen werden und bleiben. Sie sollen auch als Erwachsene mit ihren eigenen Kindern wiederkommen. So wird oberflächliches Wissen über die Zootiere vermittelt, jedoch verweilten die Kinder im Durchschnitt weniger als eine Minute vor jedem Käfig, sofern es keine Sonderaktionen wie Führungen oder Fütterungen gibt. Hauptaugenmerk liegt sowieso auf anderen Attraktionen. Zum Beispiel große Spielplätze und Restaurants. Ebenso Veranstaltungen, wie das Feiern von Geburtstagen oder Halloween und Nachtwanderungen. Die Tiere geraten hierbei vollkommen in den Hintergrund und dienen lediglich als Dekoration der perfekten Freizeitgestaltung.

Zusätzlich regen Zoos ihre Besucher*innen an, das Bedürfnis zu entwickeln, selbst exotische Tiere bei sich zu Hause zu halten. So kommt es vor, dass Zoobetriebe überschüssige Zootiere an Privathaushalte abgeben, um dort als Dekoration in schicken Terrarien und Aquarien vor sich hin zu vegetieren. Wo genau entsteht bei einem Zoobesuch also Empathie für Tiere bzw. die Sensibilisierung der Besucher*innen gegenüber den Tieren und ihren Bedürfnissen? „Würden Zoos tatsächlich Empathie auslösen, gäbe es sie gar nicht mehr.“ (Colin Goldner – klinischer Psychologe und Wissenschaftsjournalist).

Ich verlasse die Zooschule und mache mich auf den Weg zur Hauptattraktion des „Zoo am Meer“: das Eisbärengehege. Auf dem Weg komme ich an dem 78 m² kleinen Gehege zweier Polarfüchse vorbei. Der Eisbär hat von den 47 Tierarten, die auf 11.800 m² im Bremerhavener Zoo leben, mit insgesamt 1.601,5 m² (Landfläche, Wasserfläche, Ställe) das größte Gehege. Im Vergleich: Freilebende Eisbären legen bei der Nahrungssuche täglich ca. 50 km in Gebieten von bis zu 300.000 m² zurück. „Es gibt meines Wissens keine Eisbärenhaltung, in der die Tiere keine Verhaltungsstörungen zeigen, insbesondere Stereotypien […]. Bei Eisbären bin ich mittlerweile der Auffassung, dass es Tiere sind, die man in Zoos nicht halten kann.“ (Prof. Dr. Hanno Würbel – Institut für Tierschutz und Ethologie, Giessen). Trotzdem gehören Eisbären zu den Publikumsmagneten jedes Zoos. Hierbei kommt bei der Argumentation die zweite Säule ins Spiel: Artenschutz. Eisbären gehören zu den bedrohten Säugetierarten. Die Population sinkt, der natürliche Lebensraum verschwindet. Zoos sehen sich in der Funktion eben diese bedrohten Tierarten zu erhalten und sie als „Botschafter*innen“ ihrer freilebenden Artgenossen den Zoobesucher*innen zu präsentieren. Im Jahre 1973 wurde in Washington das „Washingtoner Artenschutzübereinkommen“ unterzeichnet. „Die Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (kurz CITES, deutsch: Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen) ist eine internationale Konvention, die einen nachhaltigen, internationalen Handel mit den in ihren Anhängen gelisteten Tieren und Pflanzen gewährleisten soll.“ (Quelle: Wikipedia).

Diese Maßnahme entstand, nachdem die Menschen zu der Erkenntnis kamen, dass der Handel mit wildgefangenen Tieren für Zoos der Hauptgrund für das Aussterben bestimmter Arten bedeutete. Damals wie heute sollte Artenschutz bedeuten, dass der Schutz von freilebenden Tieren und deren Lebensraum bzw. ein Leben in Freiheit als grundsätzlicher Wert an erster Stelle stehen sollte. Die logische Konsequenz daraus sollte sein, Gefangenschaft von Tieren abzulehnen. Das bedeutet, freilebenden Tieren ein Leben in Gefangenschaft zu ersparen und gefangenen Tieren ein freies Leben zu ermöglichen. Hier wird nun schnell deutlich, dass dies im Widerspruch mit dem Hauptinteresse der Zoobetriebe steht: Profit.

Zoos werben zwar mit Artenschutzprojekten und beteiligen sich an „Erhaltungszuchtprogrammen“, die aber im Verhältnis kaum Erfolge aufweisen. Eine Auswilderung von Zoogeburten ist nicht möglich, sodass oftmals gesunde Jungtiere, aufgrund von ausgeschöpften Kapazitäten, getötet werden müssen. Zudem gehören lediglich 8 % der in Zoos lebenden Arten zu den 200 weltweit bedrohten Tierarten. Warum werden dann aber noch „nicht bedrohte“ Tierarten in Zoos gehalten, die immerhin 92 % ausmachen? Auch hierbei werben Zoos damit, Zoobesucher*innen auf das Artensterben aufmerksam zu machen und sie für Umweltschutz zu begeistern, wofür eingesperrte Individuen herhalten müssen. Logische Konsequenz wäre demnach eine derzeitig bestehende Gesellschaft, für die Umweltschutz an erster Stelle steht. Entspricht das der Realität?

Ich wende den Blick von dem Eisbären ab und sehe ein kleines Terrarium. Bei genauerer Betrachtung erkenne ich kleine Nagetiere, Steppenlemminge. Wohlbemerkt in einem Zoo mit dem Schwerpunkt nordischer Tiere. Bei eben diesen Steppenlemmingen wurde vor Jahren nach Gründen für Zahnmissbildungen geforscht. Missbildungen, die nur bei Tieren in Gefangenschaft vorkamen. Demnach stellt sich die Frage, welche Rückschlüsse sich durch solche Forschungen auf freilebende Tieren schließen lassen. Generell besteht die Forschung, die 3. Säule, aus zoospezifischen, innerbetrieblichen bzw. betriebswirtschaftlichen Belangen und Tests. So wurden 2004 im Zoo am Meer im Rahmen einer Semesterarbeit die Besucherströme mithilfe einer Simulation erforscht. Außerdem ermöglicht es Zoos, die sich als wissenschaftlich orientierte Forschungseinrichtungen betiteln und sich passenden Dachverbänden anschließen, exotische Tiere aus- und einzuführen bzw. mit anderen Zoos zu tauschen. Unter dem Vorwand der Wissenschaft wird dies nicht überprüft.

Während ich meinen Weg durch den Zoo fortsetze, fällt mir die intelligente Wegführung auf. Durch viele Kurven und Verästelungen der Wege hat man als Zoobesucher*in das Gefühl, trotz der kleinen Zoofläche lange laufen zu können. Es wird mit Sträuchern und Bäumen am Wegesrand versucht, die Illusion eines Aufenthalts in der Natur zu erschaffen. Bänke laden zum Innehalten ein. Ich denke an die letzte der 4. Säulen des modernen Zoos: Erholung. Der Beginn der Geschichte des Zoos reicht weit bis ins 13. Jahrhundert zurück. Damals bis hin ins 19. Jahrhundert war es allerdings nur Königen, Fürsten und allgemein einem aristokratischen Publikum möglich, zoologische Gärten zu besuchen. Das „arme Volk“ war unerwünscht. Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte der sonntägliche Zoobesuch zum guten Ton der Gesellschaft. Die Erholung und Unterhaltung der Besucher*innen sowie die Selbstinszenierung stehen im Vordergrund. Forschung wurde lediglich aus zooeigenen Interessen betrieben, um die kostspieligen Tiere so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts verändert sich durch den Tierhändler Karl Hagenbeck das Zoopublikum. Er macht Zoos massentauglich und verwandelt sein damaliges „Zwischenlager“ von Tieren in Hamburg zu einem Privatzoo um, der noch heute existiert. Mit Zirkus, Rummelplatz und geringem Eintrittspreis lockt er erfolgreich Massen an Besucher*innen in seinen Zoo. 1907, in Zeiten des imperialen Kolonialismus, verschifft Karl Hagenbeck erstmals „exotische Menschen“ (z. B. aus Äthopien und Ghana) aus falschen, irreführenden Versprechen heraus zu sich nach Hamburg. Auch zu Zeiten des Nationalsozialismus wurden den Besucher*innen in Zoos neben Tieren auch Menschen vorgeführt. Nazis nutzten Zoos als Propaganda-Instrumente. Mithilfe von sog. „Stätten darstellender Biologie“ brachten sie ihre Ideologie der Vererbungslehre und „Rassenkunde“ unter das Volk. Kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges 1946 wurden Zoos deutschlandweit wieder aufgebaut und als reine Vergnügungs- und Erholungsstätten genutzt. Alle dressierbaren Tiere mussten weiterhin Kunststücke vorführen. Wie damals so auch heute. Leidensfähige Lebewesen bezahlen mit ihrem Leben, damit der Mensch sich eine schöne Zeit machen kann. Was aber haben die einzelnen Tiere im Zoo davon, dass sie dort leben müssen?

Ich verbringe gut zwei Stunden auf dem Zoogelände. Als die Ausgangsdrehtür sich hinter mir schließt muss ich einmal tief ein- und ausatmen. Ein betäubendes Gefühl von Trauer und Schwere macht sich in meinem ganzen Körper breit. Ich habe die Tiere gesehen. Sie genau beobachtet. Zum Teil auch durch ein Teleobjektiv. „Als Kind besuchte ich Zoos, weil ich Tiere liebte. Heute besuche ich keine Zoos mehr, weil ich Tiere liebe.“ (Autor unbekannt). Das Wissen darüber, dass die Besucher*innenzahlen von Zoos stetig geringer werden, tröstet mich nur geringfügig. Ich wünsche mir, dass Zoobesucher*innen ihre liebgewonnene Gewohnheit des Zoobesuchs und ihre Wahrnehmung hinterfragen. Auch, wenn es noch Jahre und Jahrzehnte dauern wird, so soll die Schließung aller Zoobetriebe das einzige Ziel sein. Zoos sind im 21. Jahrhundert Auslaufmodelle. Bis zur dauerhaften Schließung soll endlich das Wohl des Tieres und nicht das der Besucher*innen in den Fokus gestellt werden. Es soll sich gefragt werden „Was hat das Tier davon, dass es in Gefangenschaft lebt?“ und nicht „Welchen Nutzen haben wir Menschen, dass wir Tiere einsperren und wie können wir damit am meisten Profit machen?“.

Zoos sollen aufhören Tiere zu vermehren, die nicht ausgewildert werden können. Zoos sollten sich dazu verpflichten, geschützte Gebiete zu schaffen, wo die Tiere in den entsprechend passenden klimatischen Bedingungen leben können. Konsequente Schließungen von Zoos gibt es tatsächlich schon heute, wie z. B. in Costa Rica und Barcelona. Zu guter Letzt müssen Tieren Personen- bzw. Grundrechte zugesprochen werden, die es ihnen ermöglichen, sich frei und selbstbestimmt zu entfalten. Erst dann kann, meiner Meinung nach, von Tierliebe gesprochen werden.

Aus eigener Erfahrung lernen Menschen in Zoos nichts über Tiere. Erst qualitativ hochwertige Tierdokumentationen, wie „Unsere Erde“, vermitteln das wahre und tatsächliche Tier. Heutzutage sind wir zudem nur einen Mausklick von den richtigen Informationen und Bildern über unsere nicht-menschlichen Erdenmitbewohner*innen entfernt. Wir haben eine große Auswahl an Unterhaltung jeglicher Art. Wir haben die Möglichkeit unsere Kinder wirklich für die Bedürfnisse der Tiere zu begeistern und zu sensibilisieren, indem wir die weite Palette der Medien nutzen.

Denn, was hat das (Zoo-)Tier davon, dass es weniger als eine Minute von euren Kindern Aufmerksamkeit erhält und dafür sein Leben lang zwischen Beton und Panzerglas vor sich hinvegetieren muss?

Menschenaffen

Menschenaffen sind dem Menschen derart ähnlich, dass sie Studien zu Folge die Ausweglosigkeit ihrer Situation in Gefangenschaft erkennen. Dabei können die intelligenten Tiere durchaus Gefühlszustände wie Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erleben. Damit die Menschenaffen die lebenslange Gefangenschaft im Zoo-Gefängnis überhaupt aushalten und den Besucher*innen der Anblick allzu deutlicher Verhaltensstörungen erspart bleibt, schrecken deutsche Zoos nicht einmal vor dem Einsatz von Psychopharmaka zurück. | Quelle & Petiton: peta.de

Seebären

Früher wurden Seebären, oft Pelzrobben genannt, beinahe bis zur Ausrottung gejagt. Doch heute sind die Bestände der Seebären nicht mehr gefährdet und die Haltung in Zoos aus „Artenschutzgründen“ also nur ein vorgeschobener Grund, um Profit zu erwirtschaften. In der Natur tauchen sie bis zu 200 Meter tief nach Fischen und legen außerhalb der Fortpflanzungszeit Strecken bis zu 10.000 km zurück. In Zoos verbringen die neugierigen Tiere ihr Leben in kleinen Aquarien oder Außengehegen. 

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