Ethik: Veganismus
Hast du dir auch schonmal die Frage gestellt, warum wir Menschen manche Tiere essen und andere liebevoll als Haustier halten? Ist dieses Verhalten heutzutage noch rational und ethisch vertretbar, wenn der Konsum von tierischen Produkten für unsere Gesundheit nicht mehr notwendig ist sowie die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klima nicht mehr abzustreiten sind? Inwiefern unterscheidet sich der Konsum von Bio-Fleisch und vegetarischer Ernährung von den Grundsätzen des Veganismus? Diesen Fragen gehen wir auf dieser Seite auf den Grund.
Warum wir Tiere essen
Aus den Augen, aus dem Sinn
In unserer Gesellschaft wird es als normal und teilweise sogar als notwendig angesehen, Tiere zu essen. Diese soziale Norm wird kaum hinterfragt, denn wir alle sind damit aufgewachsen – es ist Teil unserer Erziehung und unseres Alltags. Gerüttelt wird am Konsum von Tierprodukten meist nur, wenn dessen Auswirkungen sichtbar werden, z. B. durch Aufdeckungen von Tierschützer*innen oder Umweltaktivist*innen. Doch nach einem kurzen Aufschrei in den (sozialen) Medien wird der Horror, den die Tiere täglich erleben, schnell wieder vergessen. Wie kann das sein?
Karnismus
Karnismus ist ein Begriff, den die US-amerikanische Verhaltenspsychologin Dr. Melanie Joy entwickelt hat. Er beschreibt eine unbewusste Ideologie, die es uns durch innere Verteidigungsmechanismen ermöglicht, das Konsumieren und Töten von Tieren, zu rechtfertigen, bzw. unsere Empathie auszuschalten. Typische Glaubenssätze sind: die Tiere haben ein gutes Leben und fühlen bei der Schlachtung keine Schmerzen sowie vegane Ernährung ist teurer, schmeckt nicht und führt zu Nährstoffmangel. Fleischkonsum wird gleichzeitig als normal, natürlich und notwendig angesehen – Rechtfertigungen, die schon andere gewalttätige Ideologien ermöglichten: vom Patriarchat bis zur Sklaverei.
Das Tierschutzgesetz
Als Gesellschaft haben wir anerkannt, dass Tiere fühlende Wesen sind, die Schmerzen empfinden können. Aus diesem Grund wurde auch das Tierschutzgesetz erlassen, dessen Ziel es ist, das Leiden der Tiere zu minimieren. Die daraus entstandene Nutztierhaltungsordnung beschreibt Mindeststandards, die jedoch sehr gering sind und die Gewinnmaximierung der Landwirt*innen und Konzerne als ausreichenden Grund ansieht, Schweine, Kühe und Hühner ihr Leben lang einzusperren, ihnen die Schwänze abzuschneiden, die Zähne auszureißen und die Hörner zu entfernen usw.
Haustiere und Nutztiere
Bei unseren „Haustieren“ würden wir ökonomische Ziele niemals als Rechtfertigung für deren Ausbeutung und Tötung ansehen. Wer zu Hause einen Hund oder eine Katze hat, weiß, dass Tiere nicht nur Schmerzen empfinden, sondern auch komplexe Gefühle wie Freude, Trauer und Angst haben, dass sie mehr als genügend Auslauf, Sauberkeit und eine gewaltlose Behandlung benötigen um glücklich zu sein. Sie brauchen Aufmerksamkeit, Zuneigung, Unterhaltung und eine soziale Struktur wie eine Familie, in der sie sich geborgen fühlen können. Egal ob konventionelle Landwirtschaft, „bio“ oder „Freilandhaltung“ – man kann intelligenten, fühlenden Lebewesen nicht gerecht werden, wenn man sie als Produkte ansieht und nur danach beurteilt, wie viel „Ertrag“ sie für den Betrieb in Form von Fleisch oder Milch erwirtschaften.
Die Grenze zwischen „Haustieren“ und „Nutztieren“ verschwimmt, wenn wir uns bewusst machen, dass Schweine gerne Ball spielen oder Musik hören, Rinder lebenslange Freundschaften schließen, Hühner ihren Küken schon Laute beibringen, bevor diese aus dem Ei schlüpfen und manche Fische sich selbst im Spiegel erkennen. Es ist falsch, dass diese faszinierenden Tiere kopfüber aufgehängt und aufgeschlitzt werden. Es ist falsch, wie es bei jedem Hund und jeder Katze falsch wäre.
Bewusstmachung
Macht mich der Konsum von tierischen Produkten zu einem schlechten Menschen? Natürlich nicht. Wir wurden alle in eine karnistische Gesellschaft hineingeboren und können uns durch die Bewusstmachung unseres eigenen Karnismus davon lösen und anfangen, den gesellschaftlichen Umgang mit Tieren zu hinterfragen. Wichtig ist auch, sich über die Praktiken der Tierindustrie zu informieren und nicht blind der Werbung zu glauben, wenn es heißt, dass bestimmte Siegel für mehr Tierwohl stehen.
Was wir essen – oder wen wir essen – ist Gewohnheit. Auch wenn es im ersten Augenblick schwer erscheint, das Essverhalten zu ändern, so einfach und alltäglich wird es schon nach kurzer Zeit. Eine neue Routine und neue Rezepte einzuführen kann sogar ganz spannend sein und fällt erfahrungsgemäß leicht, wenn die Gründe dafür ethisch motiviert sind.
Doku
Dominion ist eine Dokumentation von 2018, die Standardpraktiken der Tierindustrie zeigt. Insgesamt werden sechs Facetten beleuchtet – Haustiere, Wildtiere, wissenschaftliche Forschung, Unterhaltung, Kleidung und Nahrung. Dominion hat den Anspruch, die „Herrschaft“ des Menschen über das Tierreich infragezustellen. Gedreht wurde größtenteils in Australien, wo sich die Tierschutzgesetze kaum von denen in Deutschland unterscheiden. Die Aufnahmen der mehrfach ausgezeichneten Dokumentation stammen hierbei von Drohnen sowie versteckten und tragbaren Kameras. Verfügbar ist Dominion kostenlos auf YouTube mit deutscher Synchronisation.
Der Bio-Mythos
Wir Verbraucher*innen sind kritischer geworden, hinterfragen die Haltungsbedingungen und haben aufgrund der Recherchen von Tierrechtler*innen immer mehr Einblick in die Zustände und Praktiken der Tierindustrie erhalten. Bio-Fleisch ist die Antwort darauf. Dass Menschen bereit sind, mehr Geld für weniger Leid auszugeben, ist grundsätzlich ein gutes Zeichen. Doch die bittere Wahrheit bleibt, dass es grausam ist, einem Lebewesen nur aus Geschmacksgründen das Leben zu nehmen.
Eine Verbesserung der Haltungsbedingungen ist keine Lösung des Problems. Wenn einer Sau anstatt konventionell 0,75 m2 in der höchsten Haltungsform 1,3 m2 innen sowie 1 m2 Auslauf zur Verfügung stehen, spricht die Industrie von „artgerecht“. Dabei hat der Begriff nichts mit natürlichen Lebensweise der Tiere zu tun, sondern wird von der Industrie als Marketingtrick verwendet, um den Kosument*innen das Gefühl zu geben, eine ethische und ökologische Einkaufsentscheidung getroffen zu haben. Sprechen wir von echter Gerechtigkeit, heißt das, den Tieren ihr Recht am eigenen Leben zu gewähren.
Egal ob „bio“ oder konventionelle Tierhaltung: Die Tiere sind in den Augen der Industrie nur Produkte, sie sind dazu da, für die Landwirt*innen und Konzerne Geld zu erwirtschafen. Und das gilt nicht nur für Fleisch, sondern auch für Wolle, Eier, Milch, Fisch, Honig etc.
Video: Bio-Hennen und Bioland-Schweinemast in Deutschland, ARIWA. Die Aufnahmen entsprechen den gesetzlichen Standards. Zu den vollständigen Videos auf YouTube gelangst du hier: Schweinemast | Hennen
Prozent der Bevölkerung ist für mehr Tierwohl und stärkere Kontrollen
Der Großteil der Bevölkerung befürwortet strengere Kontrollen des Tierschutzgesetzes in landwirtschaftlichen Betrieben und Schlachthöfen. Aktuell werden Zucht- und Mastbetriebe in Deutschland im Durchschnitt nur alle 17 Jahre kontrolliert.
Prozent der Bevölkerung konsumiert Tiere und/oder tierische Produkte
Der Anteil der Bürger*innen, die kein Fleisch essen, liegt bei 12 %, das entspricht etwa 8,7 Mio. Menschen. 900.000 davon leben vegan, verzichten also auch auf Milchprodukte und Eier – Tendenz steigend.
Prozent des Fleischs kommt aus der Massentierhaltung
In der Massentierhaltung werden in Deutschland etwa 745 Mio. Tiere pro Jahr getötet – exklusive Fische und Krebstiere. Zusätzlich werden jährlich Fleisch und lebende Tiere mit einem Schlachtgewicht von 850.000 Tonnen importiert
Definitionen
Veganismus
Veganismus bedeutet, so weit wie möglich und praktisch durchführbar, alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an Tieren für Essen, Kleidung oder andere Zwecke zu vermeiden und darüber hinaus die Entwicklung tierfreier Alternativen, welche dem Nutzen der Tiere, Menschen und der Umwelt dienen, zu fördern. Du musst Tiere also nicht lieben, um vegan zu leben, und damit die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt, abzulehnen.
Ob man überhaupt 100 % vegan leben kann und welche „Schein-Argumente“ es gegen Veganismus gibt, hat unsere Aktivistin Imke in diesem Beitrag erörtert:
Vegetarismus
„Reicht Vegetarismus nicht aus?“ Diese Frage hören wir bei unseren Demos häufig. Die vegetarische Ernährung ist keine Lebensweise mit konsequent ethischen Grundsätzen, sondern eine Ernährungsform, bei der weiterhin tierische Produkte wie Milch und Eier konsumiert werden. In der Milch- und Eierindustrie werden die Tiere letztendlich – wie in der Fleischindustrie auch – getötet und werden teilweise jahrelang ausgebeutet.
Wie das kurze, qualvolle Leben einer Milchkuh und ihrer Kälber in Deutschland aussieht, hat unsere Aktivistin Sabine in folgendem Beitrag beschrieben:
Speziesismus
Speziesismus ist eine Auffassung, dass Menschen allein wegen ihrer Artzugehörigkeit moralisch über jeder anderen Spezies stünden. Sie ist wertend und beurteilt Lebewesen aufgrund eines einzigen Aspekts. Andere, für eine moralische Entscheidung vielleicht weit schwerwiegendere Fakten, wie z. B. die Empfindungsfähigkeit, werden in der Regel ignoriert, als geringwertiger gegenüber den eigenen Interessen oder als vernachlässigbar dargestellt.
Mehr zu dieser Form der Diskriminierung erfährst du in Manuelas Beitrag „Speziesismus und ein möglicher Zugang zur Bewusstwerdung“.
Alle Tiere wollen frei und glücklich sein.
Du kannst mit deiner Lebensweise einen Unterschied machen. Das Erfolgsgeheimnis besteht darin, positiv zu bleiben. Konzentriere dich einfach darauf, wie einfach der vegane Lebensstil sein kann, und versuche nicht, ein „perfekter Veganer“ zu sein. Denn das ist ein nahezu unerreichbares Ziel und birgt das Risiko, das vegane Leben übermäßig schwer wirken zu lassen und andere davon abzuhalten, ebenfalls diesen Schritt zu gehen.
Wenn du die sogenannten „Nutztiere“ in größtmöglicher Freiheit erleben möchtest, besuche doch mal einen Lebenshof. Dort werden die Tiere als Individuen angesehen und auf physische und psychische Bedürfnisse geachtet. In der Nähe von Wilhelmshaven befindet sich z. B. das Kuhaltersheim Hof Butenland oder in der Nähe von Hamburg der Lebenshof Land der Tiere.
Wie einer unserer Aktivist*innen, Peter Hübner, vom ehemaligen Metzger, Angler und Rodeoreiter zum Veganer wurde, erfährst du in diesem spannenden Interview auf unserem Blog. Wenn er das kann, kannst du das auch!