Keime, Viren, Resistenzen: Die Folgen der Tierhaltung

Text: Sabine Gräfe, zertifizierte Vegane Ernährungsberaterin (ecodemy)

Wir leben in einer Zeit, in der wir danach streben, unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Und zwar nicht nur die nach genug zu essen, einem sicheren Platz zum Wohnen und Schlafen und passender Kleidung. Wir leben in einer Zeit des absoluten Überflusses und des angeblichen Rechtes, unseren Hunger nach Genuss ohne Einschränkung stillen zu dürfen.

Aber wir leben nicht alleine. Wir teilen den Planeten nicht nur mit anderen Menschen, Pflanzen und Tieren, sondern auch mit einer unsichtbaren Welt der Viren, Bakterien und Keimen.

Antibiotika

Bakterien leben vom Anbeginn der Erde auf unserem Planeten und haben die Umweltbedingungen geschaffen, in denen wir existieren können. Gleichzeitig sind sie Auslöser von Krankheiten. Um diese zu behandeln, brauchen wir Medikamente, die die Bakterien töten, für uns aber ungefährlich sind.

1943 hat Alexander Flemming das Penicillin entdeckt. Aber bereits damals hat er vor der Entstehung von Resistenzen gewarnt, die bei großzügiger und falscher Anwendung entstehen können. In unserer heutigen Medizin sind Antibiotika eine tragende Säule. Ohne sie kann eine kleine Infektion oder eine Zahn-OP zu einem tödlichen Risiko werden. Da die Bakterien lernen, sich gegen Antibiotika zu schützen und resistent werden, sind Antibiotika als keine Mittel, die uns unendlich zur Verfügung stehen.

Je weniger wir sie benutzen, um so länger zieht sich die Zeit der Einsatzdauer hin. Leider haben wir uns an diese einfache Regel nicht gehalten.

Antibiotika werden nicht nur für die Behandlung von Menschen eingesetzt, sondern auch in der Tierindustrie benutzt. Hier werden sie nicht gezielt einem kranken Tier gegeben, sondern flächendeckend eingesetzt. Denn Antibiotika bekämpfen nicht nur Krankheiten, sondern fördern auch das Wachstum. Zur Steigerung des Profites wurden und werden Antibiotika im großen Stil an gesunde Tiere gegeben. Noch heute werden z. B. in den USA 80 % der insgesamt ausgegebenen Antibiotika in der Tierindustrie eingesetzt.

Die industriell genutzten Tiere werden auf Leistung gezüchtet. Also auf eine anormale Gewichtszunahme, Milch- oder Legeleistung. Im Gegenzug sind die Tiere meist anfällig für Krankheiten und werden in einer Weise gehalten, die den Ausbruch von Krankheiten massiv begünstigt. Ein Stall mit 30.000 Masthähnchen verbreitet 2,1 Millionen Staphylokokken pro Sekunde. Bakterien sind in der Luft, in den Fäkalien und auf den Tieren. Und sie werden über die Abluft, die Verteilung der Gülle und durch Fliegen verbreitet.
Um diese Tiere zur sogenannten Schlachtreife zu bringen, werden Unmengen an Antibiotika eingesetzt. Gerade in der Geflügelmast wird Antibiotika stets an die gesamte Herde im Stall gegeben. Das sind die Medikamente, die dazu gedacht sind, Menschen auf der Intensivstation als letztes Mittel zu helfen.

In Deutschland liegt die Menge der ausgegebenen Antibiotika in der Tierindustrie in etwa gleich mit der Menge, die für die Behandlung von Menschen eingesetzt wird.

2017 hat die WHO 8 Antibiotika bestimmt, die als Mittel der letzten Wahl benutzt werden sollen. Das sind die sogenannten Reserveantibiotika, die ausschließlich der Humanmedizin vorbehalten sein sollten. Dies wissen wir seit gut 50 Jahren. Doch die Tierindustrie weigert sich, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuerkennen und verantwortungsvoll mit Antibiotika umzugehen. Allein in Deutschland werden 3 der Reserveantibiotika in der Tiermast benutzt.

Eines davon ist Colistin. Es handelt sich hier um das wichtigste Reserveantibiotika und wird z. B. zur Behandlung von Mucoviszidose benutzt. Es gibt ca. 16.000 mucoviszidose-erkrankte Menschen in Deutschland, die damit behandelt werden. Wenn man die Menge an Colistin, die in der Geflügelmast eingesetzt wird, auf Menschen umrechnet, könnte man damit fast 70 Mio. Menschen behandeln. Das entspricht in etwa der Gesamtbevölkerung von Deutschland.

2015 wurde erstmalig eine Resistenz gegen Colistin diagnostiziert. Das bedeutet, dass es seit diesem Zeitpunkt Erreger gibt, die nicht nur gegen ein oder zwei Antibiotika resistent sind (multiresistent), sondern solche, gegen die kein Antibiotika mehr wirkt (panresistent).

Wir haben hier die Lunte einer Bombe angezündet. Das einzige, das wir nicht wissen ist, wie lang diese Lunte ist.

Übertragung von Viren

Im Gegensatz zu den Bakterien brauchen Viren einen Wirt. Und dieser Wirt kann aus verschiedenen Spezies stammen. Es können Übertragungen von Tierart zu Tierart und von Tieren auf den Menschen stattfinden. Wenn eine Krankheit von einem Tier auf den Menschen überspringt, sprechen wir von einer Zoonose.

Diese Übertragung passiert durch Kontakt. Wir Menschen sorgen durch unser Verhalten auf dem Planeten dafür, dass sich Tiere untereinander oder dem Menschen begegnen, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Zum Beispiel durch das Zerstören von Lebensräumen, so dass die Tiere sich immer kleiner werdende Bereiche teilen müssen. Oder durch das Halten von sogenannten Nutztieren auf engstem Raum und deren anschließende Schlachtung in Schlachthöfen oder auf (Wildtier-)märkten. Und auch durch das Verfüttern von toten, zermahlenen Tieren an andere Tiere oder das Essen von kontaminierten tierischen Nahrungsmitteln. Auf diese Art sind bereits auch für den Menschen gefährliche Krankheiten entstanden. Diese speziesübergreifenden Krankheiten (Zoonosen) stellen uns, unser Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft vor massive Probleme. Wir alle kennen solche Krankheiten: Masern, Pocken, Keuchhusten, Typhus, Lepra, Tuberkulose, die Grippe und deren neueste Variante Covid-19 usw.

Diese Krankheiten sind durch die Domestizierung und Nutzung von Tieren entstanden. Und die Übertragung ist nicht nur auf einen uns exotisch erscheinenden Wet-Market in China begrenzt.

Bekannte Krankheiten

Krankheiten, die weltweit Beachtung fanden sind:

  • BSE (Rinderwahn, beim Menschen bekannt als Creutzfeld-Jakob-Krankheit) ist wahrscheinlich entstanden durch das Verfüttern von erkrankten Schafen an Rinder.
  • Nipah (Atemwegserkrankung bei Schweinen, Gehirn-/Atemwegserkrankung bei Menschen) wurde von Flughunden auf Schweine übertragen.
  • SARS (Lungenentzündung beim Menschen) wurde wahrscheinlich von der Zibetkatze auf den Menschen übertragen.
  • Die Ursprungswirte für HIV sind Affen, die dem Menschen sehr ähnlich sind. Beim Menschen entstanden Affenpocken, Ebola und Aids. Hier ist nicht nur Bush-Meat der Auslöser, sondern auch wildgefangene Affen, die in Tierversuchslabore geschickt wurden.
    Grippe sucht sowohl Vögel, Schweine als auch Menschen heim. Durch die Haltungsbedingungen von „Nutztieren“ wird die Übertragung stark vereinfacht. Das letzte Mal, dass ein Grippevirus vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist und eine Pandemie verursacht hat, war 1918, als die spanische Grippe wütete. Und heute stehen wir mit Covid-19 wieder in einer Pandemie, deren Ende noch nicht absehbar ist.

Drei Epidemiephasen

Das Smithsonian Institut hat in der Menschheitsgeschichte drei Epidemiephasen erkannt.

  • Die erste Phase begann mit der Domestizierung von Tieren. Dies führte zum Kontakt mit vielen neuen Krankheitserregern und rottete große Teile von Zivilisationen aus.
  • Die zweite Phase begann mit der industriellen Revolution und der damit einhergehenden Entstehung der sogenannten Zivilisationskrankheiten. Die Todesursache Nr. 1 sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gefolgt von Krebs.
  • Derzeit befinden wir uns in der dritten Phase, die auch als das Zeitalter der aufkommenden Seuchen bezeichnet wird. Es ist das Zeitalter der Übertragung von Krankheiten durch „neue“ Viren von Tieren auf Menschen.

2004 haben die WHO (World Health Organization), die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) und die OIE (World Organisation for Animal Health) eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, nach der die Ursachen zoonotischer Krankheiten vor allem auf die steigende Nachfrage nach tierischem Protein und den damit verbundenen intensiven Tierhhaltungssystemen zurückzuführen ist.

Nur wenige Gesundheitsbedrohungen sind örtlich begrenzt. Wir als Weltbevölkerung sind konfrontiert mit dem Klimawandel und seinen Folgen, dem Versagen der vorhandenen Antibiotika, dem Entstehen von weltweiten Seuchen und Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nichts davon sind Naturkatastrophen, sondern menschengemachte Probleme. Sie sind das Ergebnis einer Politik, die wirtschaftliche Interessen über das Wohlergehen der Menschen stellt. Und unserem Konsumanspruch auf Kosten anderer lebender Wesen.

Fazit

Die größtmögliche Reduzierung von Tieren als Nahrungsmittel kann natürliche Lebensräume und die biologische Vielfalt schützen, so dass die Wahrscheinlichkeit für die Übertragung neuartiger zoonotischer Infektionskrankheiten verringert werden kann.

Politik und Wissenschaft stehen in einer ständigen Debatte und es stellt sich die Frage: Wann entschließen wir uns zu handeln?
Wenn es eine Theorie gibt?
Wenn man erste Anzeichen sieht?
Oder wartet man, bis es ein Problem ist?

Politik reagiert meist recht schwerfällig. Die gute Nachricht ist, dass wir nicht auf die Politik warten müssen. Jeder von uns kann jederzeit ohne Schwierigkeiten dafür sorgen, dass diese Gefahren gebannt werden. Denn im Anbau pflanzlicher Lebensmittel entstehen weder krankheitsauslösende Bakterien noch Viren. Für pflanzliche Lebensmittel müssen weder Antibiotika eingesetzt werden noch besteht die Gefahr von Zoonosen.

Es liegt also an uns, ob wir dieses überholte und gefährliche System unterstützen oder ob wir zukunftsorientiert handeln, indem wir aufhören, tierische Produkte zu konsumieren. Lasst uns aufhören, mit Messer und Gabel an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen.

Weiterführend

Sabine Gräfe hat einen weiteren Beitrag zum Thema „Vegan ist ungesund – nur ein Mythos?“ verfasst, in dem sie oft als kritisch eingeschätzten Nährstoffe wie Eisen, Vitamin B 12 oder Kalzium, deren Funktion sowie pflanzliche Lieferanten vorstellt. Den Blogeintrag findet ihr hier.

de_DEGerman

Der Beitrag gefällt dir?

Teile ihn jetzt mit deinen Freunden!