Veganismus und Kraftsport – ist das möglich?

Text: Ilja Lauber, Autorin  | zum Instagram-Profil

Wenn man erst einmal anfängt, die Verbindung herzustellen zwischen dem, was auf dem eigenen Teller liegt und dem, was in Ställen und Schlachthöfen passiert, kommen viele schnell zu der Erkenntnis, dass das eigentlich keine Sache ist, die man ruhigen Gewissens vertreten und unterstützen kann.

Der nächste Schritt ist, sich die Konsequenzen für das eigene Handeln zu überlegen. Das Gute ist: Es war nie einfacher als jetzt, vegan zu leben! Und wenn man zusätzlich auf die eigene Gesundheit bedacht ist, stellt ein hoher Anteil vollwertiger pflanzlicher Lebensmittel in der Ernährung ohnehin einen deutlichen Vorteil dar. Aber wie ist das, wenn man Sportler*in ist? Passt das wirklich mit einer rein pflanzlichen Ernährung zusammen?

Protein

Protein ist wahrscheinlich das zentralste Thema, wenn es um Sport, vor allem Kraftsport, und vegane Ernährung geht. Und das hat durchaus seine Berechtigung – schließlich ist Protein der Baustoff für Muskeln und ohne Baustoff kann nichts gebaut werden. Entsprechend höher ist der Bedarf, wenn man Muskel aufbauen möchte – verbreitete Richtwerte für das Sportvolk bewegen sich zwischen 1 bis 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht.

In unserem Kulturkreis wird die Proteinversorgung üblicherweise fast ausschließlich über Tierprodukte gedeckt Fleisch, Milchprodukte und Eier. Typische Lebensmittel der Fitness-Szene sind entsprechend Magerquark, Hähnchen ohne Haut, Milch und Whey, also Molkeprotein. Das alles entfällt für Veganer*nnen. Nun gibt es natürlich auch pflanzliche Proteinquellen – z. B. Sojaprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Ölsaaten, Pseudogetreide und Getreide. 

Aber für Sporttreibende gibt es in dem Zusammenhang tatsächlich zwei mögliche Fallstricke bei der pflanzlichen Proteinversorgung:

  1. Protein aus pflanzlichen Lebensmitteln hat im Schnitt (!) eine geringere sogenannte Biologische Wertigkeit als tierisches Protein. Das bedeutet, die Zusammensetzung der Proteine aus ihren Bausteinen, den Aminosäuren, bei tierischen Lebensmitteln oft günstiger als in pflanzlichen sein kann, sodass erstere für sich allein betrachtet in dem Fall besser verwertet werden können.
  2. „Natürliche“ pflanzliche Proteinlieferanten bringen gleichzeitig auch immer einiges an Kohlenhydraten mit (Hülsenfrüchte, Getreide) oder Fett (Nüsse, Ölsaaten). Wenn man nicht auf Kalorien achten braucht oder will, ist das kein Problem, Kohlenhydrate und Fette haben ja ihren festen Platz in einer vollwertigen Ernährung. Aber bei einem begrenzten Kalorien-Tagesbudget kann es dadurch schwieriger sein, auf die gewünschte Protein-Bilanz zu kommen.

Das Gute ist: Für beides gibt es Lösungen:

  1. Etwaige Defizite im Aminosäureprofil der verschiedenen Lebensmittel, also deren sogenannten limitierenden Aminosäuren, lassen sich leicht kompensieren, wenn man über den Tag verteilt auf verschiedene Proteinquellen zurückgreift oder noch besser, sie direkt in einer Mahlzeit kombiniert. Besonders Hülsenfrüchte und Getreide ergänzen sich gegenseitig effizient. Und Sojaprodukte sowie Pseudogetreide haben auch alleinstehend bereits eine sehr gute Amino-Zusammensetzung, die der tierischer Lebensmittel gleichwertig oder sogar überlegen ist. Siehe dazu z.B. die Listen auf Wikipedia zur Biologischen Wertigkeit und dem PDCAASAlso: Einfach darauf achten, nicht nur genug Protein zu konsumieren, sondern auch verschiedene Quellen zu nutzen.
  2. Es gibt mehr oder weniger stark verarbeitete vegane Lebensmittel mit hoher Proteinkonzentration. Wer ab- oder nicht zunehmen und trotzdem Muskeln aufbauen bzw. erhalten will, tut gut daran, besonderen Fokus auf die folgenden Lebensmittel zu legen: zuckerfreier Sojajoghurt und -quark, Sojamilch, Sojachunks (Medaillons & Co), Lupinen-Vleischprodukte, entöltes Nussmehl, Soja- oder Mehrkomponenten-Proteinpulver, Seitan und Glutenmehl. Die beiden letzteren, also Weizeneiweiße, haben eine ziemlich geringe Proteinqualität, sie sollten also auf jeden Fall ebenfalls mit anderen Proteinquellen, vor allem aus der Hülsenfrucht-Sparte, kombiniert werden.

Ergänzungsmittel

In Kraftsportkreisen sind diverse Supplemente aller möglicher Natur im Einsatz darauf muss man auch als Veganer*in nicht verzichten, falls man darauf zurückgreifen will (es geht natürlich auch ohne). Das bereits erwähnte Proteinpulver, EAAs, BCAAs, Kreatin, EPA/DHA, die verschiedenen Mikronährstoffe und isolierten Aminosäuren, Booster das gibt es alles auch in rein pflanzlicher Form, selbst in den konventionellen Online-Shops.

Überzeugungshilfe

Schreiben kann man hier natürlich viel. Wer trotzdem noch Zweifel hat, ob Kraftsport, Bodybuilding oder anderer Leistungssport wirklich mit einer rein pflanzlichen Ernährung zusammenpassen, kann sich daher einfach die lebenden Beweise angucken: Von ambitionierten Hobby-Sportler*innen bis hin zur Weltelite gibt es mittlerweile eine Vielzahl an veganen und plant-based Athlet*innen in so ziemlich allen Disziplinen. Die sollten als Beweis reichen. An der Dokumentation Game Changers (auf Netflix) gibt es einige Kritikpunkte, aber wofür sie perfekt geeignet ist, ist darzustellen, was Menschen bei einer rein pflanzlichen Diät in der Lage sind, zu leisten. Unter dem Gesichtspunkt ist der Film absolut sehenswert.

Außerdem …

Und noch ein Punkt: Es ist durchaus möglich, dass es für manch eine*n einfacher wäre, die sportlichen Ziele unter Einbezug von Tierprodukten zu erreichen. Aber ich für meinen Teil könnte mich nicht imaginär  vor einen Kälbertransport am Schlachthof stellen und sagen „Tut mir Leid, Jungs, aber dafür, dass ich 5 % mehr Muskelaufbau hinbekomme, war es das jetzt leider für euch“. Fleisch, Milch und Eier bedeuten Opfer. Mitgefühl bedeutet Stärke.

Patrik Baboumian

Bei den Strongman-Meisterschaften im August 2011 errang er den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“. | Instagram-Profil

Simone Collins

Simone ist zertifizierte Personal-Trainerin, Aktivistin und nimmt auch an Fitness-Wettkämpfen teil. | Instagram-Profil

Torre Washington

Amerikanischer Fitness-Coach und Body-Builder. Auf seiner Seite findest du auch Ernährungs-Tipps. | Instagram-Profil

Iljas Bücher:

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