Das kurze, qualvolle Leben einer Milchkuh
Text: Sabine Köhler | Foto: joshuaentis.com
Ich bin …
Es ist noch dunkel und warm um mich herum, ich spüre jedoch die Angst und den Stress meiner Mutter, der mich auch schon die ganzen 9 Monate vorher begleitet hat. Die Wehen pressen mich hinaus, dabei wird mir ein Seil um meine Vorderbeine gelegt, die als erste zu sehen sind. Ich werde herausgezogen und lande glücklicherweise auf einem Boden mit Streu. Ich erblicke das Licht der Welt … durch den Schein einer Lampe im Stall. Meine Mutter darf mir nicht beim Aufstehen helfen und mich ablecken, dafür lässt man uns keine Zeit. Kurz darauf werden mir Ohrmarken in ein Ohr gestochen und ich werde mit Stroh trocken gerieben und gewogen. Ab jetzt bin ich nur noch eine Nummer.
Noch etwas wackelig auf meinen Beinen will ich zu meiner Mutter und sie begrüßen. Aber ich werde weggezogen von einem zweibeinigen Lebewesen, das mir einen Eimer mit einem Nuckel hinhält. So recht weiß ich damit nichts anzufangen und weigere mich, den Sauger in mein Mäulchen zu nehmen. Ein Schlauch mit warmer Biestmilch wird mir darum in mein Maul gezwungen. Das ist die erste Milch einer Kuh nach dem Kalben, sie ist mit wertvollen Abwehrstoffen die beste Nahrung für mich. Für die nächsten 24 Stunden ist das meine Nahrung. Ich darf nicht die Milch meiner Mutter aus dem Euter trinken, da meine Verdauungsorgane nicht auf den hohen angezüchteten Milchfettgehalt meiner Mama eingerichtet sind und das Infektionsrisiko zu hoch ist.
Etwa 30 Minuten nach der Geburt trennt man mich von ihr, ich weine stundenlang und sie ruft nach mir, bis ich es nicht mehr hören kann. Es wäre zu teuer, wenn ich bei ihr bleiben würde. Darum bin ich nun für mehrere Wochen in ein Einzeliglu gesperrt, kann nicht mit anderen Kindern spielen und kuscheln. Zum Schlafen habe ich ein Strohbett. Einem anderen Kind neben mir geht es nicht gut, ich kann es nicht trösten. Wenige Tage später wird es abgeholt und ich sehe es nie wieder.
In den ersten 8 Tagen habe ich einen Nuckel mit einem Eimer vor mir mit einer komisch schmeckenden Flüssigkeit, weil die Milch meiner Mama für die Menschen gebraucht wird. Ich mag dieses neue Essen nicht, aber ich habe Hunger und bin gestresst ohne meine Mutter und ich habe das Bedürfnis zu saugen. Hastig nehme ich darum das mir angebotene Ersatzprodukt zu mir. Ein wenig Heu habe ich zum Spielen und Probieren. Manchmal ist es kalt und ich friere, aber ich kann auch den Wind und die Sonne spüren.
Nach etwa 2 Wochen bekomme ich neben Milch und Wasser auch Kraftfutter. Die Milch wird nach 2 Monaten abgesetzt. Jetzt darf ich endlich in ein Kinderzimmer – ein Gruppeniglu – mit ein paar anderen Kindern. Zweimal täglich bekommen wir verschiedenes Kraftfutter und es wird nach uns gesehen, ob es uns gut geht. Jeder hat seinen eigenen Platz beim Essen, wir stehen nebeneinander und stecken unseren Kopf durch Metallstäbe. Unsere Mütter haben wir vergessen, wir konnten nie eine Bindung aufbauen. Täglich wird unser Kinderzimmer gesäubert, damit wir nicht krank werden. Sechs Monate lang bleiben wir zusammen, dann werden wir zusammen in einen Stall gebracht mit einigen anderen jungen Kühen im gleichen Alter. Es ist langweilig, wie gern würde ich jetzt wieder die Sonne sehen und den Wind spüren. Aber wir müssen noch weiter zunehmen, Kraft tanken. Als ich 1,5 Jahre jung bin, werde ich vergewaltigt. Ein Mann führt seine Hand und einen langen Metallstab in meinen Bauchraum, ich habe Angst, werde aber festgehalten von einem anderen Menschen. Danach bin ich wieder im Stall mit allen anderen, die auch geschwängert wurden.
Es sind noch 8 Wochen bis zur Geburt meines ersten Kindes, ich komme nun in einen großen Laufstall und trage ein Halsband mit einem Computerchip, der meine Bewegung überwacht. Dann ist es soweit, ich bin unruhig und laufe viel herum. Im Liegen gebäre ich meinen Sohn, möchte ihn ablecken und ihm meine erste Milch geben. Es geht alles so schnell, er wird trocken gerieben und mir weggenommen. Mein Herz wird gebrochen, ich weine ihm laut hinterher und ergebe mich in mein neues Schicksal. Ein paar Tage darf ich mich noch von der Geburt ausruhen, dann geht es in den Stall zu den anderen Müttern. Wir bekommen große Mengen proteinreiches Kraftfutter aus Maispflanzen, Soja oder Rapsschrot. (Das Soja stammt aus Südamerika, ist in der Regel gentechnisch verändert, mit hohen Mengen an Pestiziden behandelt und in Monokulturen auf ehemaligen Urwaldflächen gewachsen).
Dreimal täglich werden wir gemolken, das geht alles automatisch und wir geben sehr viel Milch. Sechs Wochen später werde ich wieder besamt. Mein Leben besteht nur aus Essen, Schlafen und gemolken werden. Nach meinem dritten Kind in meinem 4. Lebensjahr bin ich am Ende meiner körperlichen Kräfte, ich fühle mich nur ausgenutzt. Mir fehlt schon die Kraft, länger zu stehen oder zu laufen. Stolpernd werde ich zu einem Transporter gebracht, eng an eng stehe ich mit meinen Leidensgenossinnen während der Fahrt. Ich habe Durst und Hunger und sehr viel Angst.
Traurig sehe ich durch die Ritzen des Transporters die grünen Wiesen, von denen ich nie kosten durfte, atme ein erstes und letztes Mal den Duft. Am Ziel angekommen, riecht es nach Blut, ich höre Schreie, zittere und will wieder zurück. Ein paar Mal falle ich hin, werde getrieben mit Elektroschocks und Schlägen, gezwungen den Todesschreien immer näher zu kommen. Dann trifft es mich, ein Schuss dringt in meinen Kopf, ich versuche wieder aufzustehen, ein zweiter Schuss löscht mein kurzes freudloses Leben aus. Ich war nur eine Nummer.
So oder so ähnlich geht es vielen sogenannten „Ausnutztieren“ in unserer Welt. Ein kurzes unglückliches Leben, so voller Leid und Entbehrung, ist das Schicksal vieler Mitbewohner unserer Erde. Wir gewähren ihnen kein normales Leben in Freiheit, weil es allein um den Profit geht. Wären gesundheitliche Aspekte im Vordergrund, wäre die Pharmaindustrie nicht der Nutznießer, wäre die Umwelt uns wichtig und unser eigenes Leben, würde es solche Zustände schon lange nicht mehr geben. Aber wir lassen uns belügen, betrügen, uns etwas vorgaukeln vom glücklichen Tier, das womöglich freiwillig sein Leben gibt für die Spezies Mensch, das vermeintlich für uns allein geboren wurde, um es auszunutzen. Wir benutzen unseren Planeten und alle Bodenschätze, alle anderen Lebewesen und sägen damit am eigenen Ast. Es könnten alle hungernden Menschen satt werden, wenn wir nicht Millionen von „Ausnutztieren“ riesige Ländereien nur für Futtermittel zur Verfügung stellen würden. Abholzungen von Urwald für den Sojaanbau als Tierfutter wäre unnötig, die Lunge der Welt könnte erhalten bleiben oder sich erholen. So vieles hängt davon ab, wie wir uns ernähren und welchen Respekt wir unseren Mitbewohnern auf der Erde zollen.